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Interview: Wie steht es um die Demokratie, Herr Schlauch?

Rezzo Schlauch gehört zu den Grünen der ersten Stunde. 1996 wollten 39 Prozent der Stuttgarter Wähler den markanten Politiker als ihren Oberbürgermeister sehen. Er war Fraktionsvorsitzender in der ersten Rot-Grünen Regierungskoalition und Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Bei der Veranstaltung „Ulmer Denkanstöße“ tritt der 73-Jährige als prominenter Gastredner auf.

Das Thema der 14. Ulmer Denkanstöße stellt die grundsätzliche Frage: „Demokratie: Auslauf- oder Zukunftsmodell?“ Wie lautet Ihre Antwort darauf?

Die Demokratie ist für unsere deutsche Gesellschaft und ebenso für die europäische Gemeinschaft das allerhöchste Gut. Mir hat noch nie jemand nachvollziehbar vermittelt, dass es eine bessere Staatsform gibt. Mit denjenigen, die das anders sehen, muss man umgehen und als feste, wehrhafte Demokratie eine Strategie entwickeln, wie man sich dazu verhält. In diesem Punkt sehe ich allerdings erhebliche Defizite in der Politik und vor allem in der Wirtschaft.

Können Sie diese Defizite näher bezeichnen?

Ich spreche von allen Staaten, mit denen Deutschland eine enge, wirtschaftliche Beziehung pflegt, die aber von den gemeinsamen Werten der Demokratie mehr und mehr abweichen. Da sind etwa Polen,
Ungarn, Slowenien und die Türkei, ebenso Russland und China und in den vergangenen Jahren sogar die USA. Wenn wir keine klare Strategie im Umgang mit diesen Staaten entwickeln, sondern weiterhin auf der Ebene einer Beschwichtigungspolitik bleiben und auf Grund wirtschaftlicher Interessen beide Augen zudrücken, verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit. Und das bleibt nicht ohne Auswirkungen, auch auf unsere eigene Gesellschaft.

Wie könnte eine solche Strategie aussehen?

Diplomatie in Verbindung mit einer unmissverständlichen Haltung. An dieser Stelle muss ich besonders heftig die beteiligte Wirtschaft kritisieren. Wenn man sich zum Beispiel einen deutschen Automobilbauer anschaut, der in China im Gebiet der Uiguren produziert, wo Millionen Menschen in Umerziehungslagern interniert werden, wo Menschenrechte keinerlei Gültigkeit mehr haben, dann ist das ein Skandal. Oder wenn man sieht, wie über entsprechende Beteiligungsverhältnisse die chinesische Diktatur direkt in deutsche Unternehmen hineinregiert, muss man leider sagen, dass hier der Pakt mit den Gegnern der Demokratie geschlossen wurde. Wenn man die eigenen Werte im Umgang mit anderen dauerhaft verleugnet, ist das der erste Schritt zur Aushöhlung dieser Werte.

Wie schwierig ist es, solche wirtschaftlichen Verflechtungen zu lösen?

Deutschland ist mit der EU und dem engen Partner Frankreich in einer wirtschaftlich starken Position. Wenn man das richtig anpackt, kann man da etwas bewegen. Natürlich sind das langwierige Prozesse. Ich sage auch nicht, man muss jetzt knallhart gegen die genannten Länder vorgehen und die Beziehungen abbrechen. Aber untätig zu bleiben und sich mit dem Status quo zu arrangieren, halte ich für hochgefährlich. Man kann das auch auf die innenpolitische Situation beziehen. Nicht umsonst hat der bayrische Ministerpräsident Markus Söder, der anfangs den Tango mit Rechtsaußen tanzen wollte, diese in einem atemberaubenden Kurswechsel zu Feinden der Demokratie erklärt.

Wie kann man den Bewegungen innerhalb der deutschen Gesellschaft begegnen, die unsere Demokratie mittlerweile mit Skepsis betrachten und sogar mit einer Diktatur vergleichen?

Das darf man selbstverständlich nicht bagatellisieren. Aber im Wesentlichen halte ich unsere demokratische Gesellschaft für so stabil und stark, dass sie mit diesen Minderheiten zurechtkommt. Antidemokratischen Bewegungen, wie sie sich durch die Corona-Pandemie innerhalb der Bürgerschaft gebildet haben, ist mit Augenmaß zu begegnen. Man darf die Menschen nicht durch überzogene Reaktionen noch weiter in die Arme der Rechtspopulisten treiben. Das wäre falsch. Anders verhält es sich allerdings, wenn solche Strömungen aggressive verfassungswidrige Formen annehmen.

Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass die unterschiedlichsten Gruppierungen aus der Mitte der Bürgerschaft unsere Demokratie so lautstark anzweifeln? Wer hat da welche Fehler gemacht?

Ich glaube nicht, dass es da die eine Ursache oder Fehlleistung in der Politik gibt. Es handelt sich ja um ein
weltweites Phänomen. Viele Menschen sind einfach infiziert durch den weltweit grassierenden Populismus. Da gibt es zum Beispiel diese Westentaschen-Trumps. Sie haben die antidemokratische Welle, die sich durch Donald Trump erst richtig entwickeln konnte, aufgegriffen und in die mediale Öffentlichkeit transportiert. Es ist ein ganzes Bündel von Ursachen. In jeder Gesellschaft sind andere Sichtweisen und Gegenmaßnahmen angezeigt.

Lassen sich die Gesinnungsgräben, die sich aufgetan haben, wieder schließen?

Wenn krude Verschwörungstheorien oder Vergleiche mit Opfern des Hitler-Regimes dermaßen extrem überzeichnet werden, dass es mit der Vernunft nicht mehr zu fassen ist, dann vertraue ich darauf, dass eine große Mehrheit einen Gegenimpuls entwickelt. Diesen müssen dann alle, die unsere Demokratie schätzen und verteidigen, in besonnener, persönlicher Auseinandersetzung an den Mann und an die Frau bringen. Das kostet Mühe. Es gibt aber auch Gruppen, deren Strategie es ist, mit unserer Gesellschaft so hart zu brechen, dass es keine Brücken mehr gibt. Da sind dann die wehrhafte Demokratie und der Rechtsstaat gefragt.

Herr Schlauch, wir danken Ihnen für die dieses Gespräch!

Hier erfahren Sie weiteres zum Programm der Ulmer Denkanstöße.

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