SpardaWelt

„Einsamkeit ist der Killer Nummer 1“

Herr Professor Spitzer klärt auf wie schlecht die "soziale Isolation" für die physische und psychische Gesundheit ist.

Herr Professor Spitzer, bitte definieren Sie den Begriff „Einsamkeit“.

Einsamkeit meint – darauf hat man sich in der Forschung geeinigt – das persönliche, subjektive Erleben. Mit „soziale Isolation“ dagegen wird die objektive Tatsache beschrieben, dass jemand wenig Kontakte hat. Wichtig ist, dass man beides unterscheidet. Es gibt Menschen, die ständig mit anderen zusammen sind und sich zugleich dauernd als einsam erleben, und andere, die tatsächlich kaum Kontakte haben, sich aber nicht einsam fühlen.

Wie wirkt sich Einsamkeit auf die Gesundheit aus?

Subjektiv erlebte Einsamkeit geht mit messbar erhöhten Konzentrationen von Stresshormonen einher. Daraus lässt sich eine Ursachenkaskade ableiten, die zu einer ganzen Reihe der häufigsten Krankheiten gerade in entwickelten Gesellschaften führt. In zwei großen, epidemiologischen Studien hat sich gezeigt: Einsamkeit ist der „Killer Nummer 1“ — vor Rauchen, Übergewicht, Bluthochdruck oder Feinstaub.

Wie sehen die ersten Alarmzeichen aus?

Wenn jemand beispielsweise von sich aus keine Kontakte mehr sucht, ein problematisches Mediennutzungsverhalten aufweist und das Interesse an der realen Welt verliert. Die Versuchung, Zeit vor dem Bildschirm „totzuschlagen“ ist größer, als sie je war. Dies stellt gerade für junge Menschen eine große Gefahr dar.

Was kann jeder selbst dafür tun, um diese Gefahr zu überwinden?

Aktivitäten und Projekte in der realen Welt sind wichtig. Raus in die Natur, viel Bewegung, jeden Tag! Das klingt vielleicht banal, hilft aber tatsächlich.

Es heißt in den Medien immer wieder, dass unter den Kontakteinschränkungen besonders Senioren, Kinder und Jugendliche leiden. Wie verhält sich das aus Ihrer Sicht?

Kinder und Jugendliche: Ja, Senioren: Nein. Das mag zunächst überraschen, weil bei vielen Senioren in der Tat die soziale Isolation zugenommen hat. Aber ältere Menschen haben glücklicherweise auch mehr Lebenserfahrung, haben „schon viel durchgemacht“. Auch haben sie einen anderen Zeithorizont, können also größere Zeiträume gedanklich überbrücken. Für Kinder und Jugendliche hingegen dauert schon eine Woche „ewig lang“, sie haben weniger Erfahrungen, wie man eine „Durststrecke“ durchsteht. Junge Menschen brauchen andere junge Menschen, um sich zu entwickeln. Hinzu kommt, dass Kinder und Jugendliche noch rasch lernen – auch das Gefühl der Hilflosigkeit im Lockdown. Das kann bei ihnen zur Entwicklung von Angst und Depression führen. Außerdem sind ihre Bildungschancen durch Schulausfall beeinträchtigt. Das wirkt sich bekanntermaßen auf die lebenslange Produktivität aus. Das Lebenseinkommen wird geringer und die Gesundheit leidet.

Kann der Fernunterricht per Video da entgegenwirken?

Wie eine aktuelle Studie an 350.000 Schülern in Holland klar gezeigt hat, wird im Distanzunterricht fast gar nichts gelernt – auch wenn es an Computern und Computerkenntnissen nicht mangelt.

Woran liegt das?

Realer Kontakt ist unmittelbar, eben ohne ein Medium, was wörtlich „das Dazwischenliegende“ bedeutet. Diese Unmittelbarkeit ist durch nichts zu ersetzen. Das merken wir alle ja gerade jetzt ganz besonders deutlich. Etwas anders verhält sich das übrigens beim Telefonieren.

Ist Telefonieren also unmittelbarer?

Beim Telefonieren mit einer uns gut bekannten Person ergänzt unser Vorstellungsvermögen, was fehlt. Wir sehen beispielsweise die Person vor unserem geistigen Auge lachen, wenn wir sie am anderen Ende der Leitung lachen hören. Das funktioniert aber nur zwischen Menschen, die sich schon gut kennen. Das Bild bei einem Videochat stört dabei eher. Es erinnert uns ständig daran, dass wir medial, also eben nicht unmittelbar, beieinander sind. Zwischen Unbekannten kann der Videochat wiederum Vorteile haben.

Wie wirken sich diese Zusammenhänge auf die Arbeit im Homeoffice aus?

Als Chef habe ich schon viele Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt. Die meisten wollten bald wieder ins Büro kommen. Das hat vielfältige Gründe. Wer zuhause kleine Kinder betreuen muss, kann dort nicht zugleich arbeiten. Und jeder Mensch braucht seine unmittelbaren Kontakte, auch die mit den Kollegen, weil man oft nur dann die eigene Arbeit als sinnvoll erlebt.

Dennoch wird Homeoffice seit Corona häufig als Zukunftsmodell gesehen, das auch die Umwelt durch weniger Straßenverkehr entlasten würde.

Ich denke und hoffe, dass wir alle schlauer aus der Pandemie hervorgehen. So könnte bei vielen Arbeitsplätzen beispielsweise ein Arbeitstag pro Woche im Homeoffice stattfinden. Das würde den Berufsverkehr um 20 Prozent vermindern, samt Schadstoffausstoß, Stress und Fahrzeitersparnis. Jeder hätte etwas davon.

Herr Professor Spitzer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

Das könnte Ihnen auch gefallen